Risse im Paradies

Die bisherigen Blogeinträge vermitteln eventuell den Eindruck, dass wir ein halbes Jahr im Paradies leben. Das ist zwar größtenteils korrekt, da wir uns natürlich in erster Linie mit den schönen und angenehmen Seiten beschäftigen. Doch warum gibt es hier eigentlich so wunderbare Landschaften, Seen, Flüsse und eine enorme Vielfalt in der Natur? Weil Neuseeland nicht nur auf dem bereits berichteten Feuerring liegt, sondern sich die Pazifische und die Australische Platte unter der Südinsel aneinander reiben. Und das führt immer wieder mal dazu, dass die Erde wackelt, bebt und neue Landschaften entstehen. Wir haben glücklicherweise bisher nur einen kleinen Erdstoß in Wellington erlebt und sind auch nicht scharf darauf, ein richtiges Erdbeben mitzubekommen.

Gerade vor drei Wochen hat es im Hinterland von Christchurch heftig gewackelt, ohne allerdings spürbare Schäden zu verursachen, da das Epizentrum im ländlichen Gebiet lag. Viel schlimmer hat es die Innenstadt von Christchurch vor fast genau vier Jahren getroffen. Am 22. Februar 2011 um 12:51 Uhr Ortszeit wurde die bis dahin zweitgrößte Stadt Neuseelands vom zweitstärksten gemessenen Erdbeben (6,3 MW = Momenten-Magnituden-Skala) inmitten des Stadtzentrums völlig unerwartet getroffen. Das stärkste Erdbeben (7,1 MW) traf die Region um Darfield (45 km westlich von Christchurch) am 4. September 2010, also ganz in der Nähe und nur ein halbes Jahr zuvor. Die Zerstörungskraft dieses Bebens hatte Christchurch bereits empfindlich getroffen und man war noch bei Aufräumarbeiten und Neuaufbau als die Erde diesen Aktionen ein jähes Ende bereitete. Das Beben fand in einer verdeckten und bisher nicht bekannten Verwerfung mit Ost-West-Ausrichtung statt. In dieser Verwerfung entstand nach ersten Erkenntnissen ein rund 10 km langer Bruch, lediglich 9 km vom Zentrum der Stadt entfernt. Das Hauptbeben dauerte etwa 25 Sekunden, mit einem ersten weiteren Nachbeben rund 2 Minuten später.

185 Personen starben infolge des Erdbebens, darunter befanden sich auch Staatsangehörige aus mindestens 14 weiteren Ländern. Da einige menschliche Überreste schwer zu identifizieren waren und ein Abgleich mit den registrierten Vermisstenfällen vorgenommen werden musste, wurde die endgültige Opferzahl erst etwa ein Jahr nach dem Erdbeben veröffentlicht.

Die Folgen dieses schweren Bebens sind auch vier Jahre nach der Katastrophe noch sehr deutlich sichtbar. Wir verbachten Silvester in Christchurch und kamen am 31.12.2014 das erste Mal nach acht Jahren - bei unserem letzten Besuch hier war die Stadt noch intakt - wieder in die einst lebendige Studentenstadt. Nähert man sich über die Außenbezirke dem Innenstadtbereich, kann man kaum glauben, dass hier ein Erdbeben stattgefunden haben soll. Alles wirkt wie einst. Doch sobald man sich dem CBD (City Business District) nähert, tauchen wellige Straßen, Baustellen, Kräne, riesige Freiflächen, leerstehende Gebäude und Warnschilder auf. Wir kannten uns damals in Christchurch ganz gut aus. Bei unserem jetzigen Besuch erkannten wir nichts mehr wieder. Selbst Einheimische finden sich hier nicht mehr zurecht. 70.000 Bewohner haben die Stadt verlassen, weil ihre Häuser nicht mehr bewohnbar sind oder sie mit den traumatischen Folgen des Bebens nicht klarkommen.

Es ist ruhig geworden in Christchurch. Als wir letzten Samstag erneut nach Christchurch fuhren, um unsere Nichte Anna am Sonntag zum Flughafen zu bringen, verbrachten wir den Abend in der Innenstadt. Ein paar Bars und Restaurant geben ihr Bestes mit ausgefallenen Locations oder einem außergewöhnlichen Angebot an Speisen und Getränken, doch die Straßen wirken trotz Hochsaison leer und verlassen. Der Platz um die Canterbury-Church, einst das Wahrzeichen der Stadt, jetzt eine Wahrzeichen-Ruine, zieht noch ein paar Touristen an, die wie wir Fotos davon machen.

Auf der anderen Seite entstehen interessante Projekte, wie beispielsweise "Re:start", eine Shopping Mall, die aus bunten Containern entstanden ist und einen eigenen Charme hat. Überhaupt wird mit Kunst- und Eventaktionen versucht, der Stadt neues Leben einzuhauchen. In einem Ladenlokal liegt ein riesiger Haufen bunter Legosteine, jeder wird aufgefordert am Neuaufbau der Stadt mitzuwirken und eigene Ideen einzubringen.


Wir besuchten am Neujahrstag "Quake City", eine Ausstellung, die sich mit dem Erdbeben und den Folgen beschäftigt. Es war beklemmend und ermutigend zugleich: Beklemmend, weil in Form von Interviews Einzelschicksale verdeutlicht werden und schreckliche Bilder von Rissen, Schlammlöchern und zerstörten Häusern sowie Live-Videos von Überwachungskameras das Ausmaß dieser Naturkatastrophe demonstrieren. Ermutigend, weil die Einstellung vorherrscht, es ist ein Neuanfang, der vieles ermöglicht, was sonst nicht machbar gewesen wäre. Das ist auch ein gutes Motto für das neue Jahr: Eine schwere Krise* ist ein Neuanfang, der eine Chance beinhaltet. Unsere leichte Krise - unser Sonnenschein Anna hat uns verlassen;-) wird uns sicherlich auch auf neue Ideen bringen.

* Die Krise (Alt- und gelehrtes Griechisch κρίσις krísis ursprünglich ‚die Meinung‘, ‚Beurteilung‘,
‚Entscheidung‘, später mehr im Sinne von ‚die Zuspitzung‘) bezeichnet eine problematische, mit einem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation. (Quelle: Wikipedia)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Überfahrt und Taupo auf der Nordinsel

Stewart Island - Die Insel der Kiwis

Der Westen der Nordinsel: Opunake und Whanganui