Vergleichender Rückblick und was jetzt

Nun sind wir schon drei Wochen wieder in Deutschland, der Kalender füllt sich und das vertraute Leben macht sich breit. Doch was ist jetzt, nach einem halben Jahr Auszeit, in denen wir 19.000 km durch Neuseeland gereist sind und jeweils zweieinhalb Monate an festen Standorten lebten, anders? Was haben wir vom anderen Ende der Welt mitgenommen, was zurückgelassen? Wie fühlt sich Deutschland jetzt für uns an?


Unseren Mitmenschen freundlicher begegnen
Nicht, dass wir vorher wirklich unfreundlich waren, doch nun haben wir für jeden, der uns begegnet ein Lächeln übrig und einen Gruß auf den Lippen. Ganz so, wie wir es von den Kiwis gelernt haben. Und was passiert dadurch? Unsere Gegenüber begegnen uns ebenfalls freundlicher. Hoffentlich können wir uns dieses Verhalten lange bewahren.

Gelassener über Dinge hinwegschauen
Der erste Sonntag zuhause, das Wetter ist schön und wir beseitigen im Garten die gröbsten Sturmschäden. Im Naturschutzgebiet hinter unserem Garten hat sich eine Gruppe Jugendlicher versammelt um mindestens eine Stunde lang laute Bummbumm-Musik zu hören. Wahrscheinlich wäre ich vor unserer Auszeit hingegangen und hätte sie gebeten die Musik leiser zu drehen. Jetzt denke ich, wie schön, dass sie ihren Spaß haben und erinnere mich an die lauten Kreissägen und ähnlich krachmachenden Geräte, die in Neuseeland auf jeden Fall am Sonntag angeschmissen wurden. Dagegen ist wummernde Musik geradezu entspannend.

Bilder und Erlebnisse verankert
Unser tolles Haus in Waikanae Beach, der Besuch der Glühwürmchen in den Waitomo-Caves, die Ankunft und Zeit mit meinen Eltern, die 2000 Jahre alten Kauri-Bäume, das Bewandern des Geothermalgebiets mit all seinen Farben und Gerüchen, der Ausflug an die Palliser Bay, die 7 Wochen mit unserer Nichte Anna, das Tongariro Crossing (9-stündige Vulkanwanderung), unser Auto und der platte Reifen, das Schwimmen mit den Delfinen, die Gelbaugenpinguine, Seelöwen und toten Wale, die 30 km Düne Farewell-Spit, das Schwimmen in Kaiteriteri, der Besuch von Claudia, Rani, Louie und Thea, das Wildfoods-Festival in Hokitika, die ehrenamtliche Tätigkeit und natürlich die vielen liebenswerten Menschen, die wir kennengelernt haben - all das und noch viel mehr bleibt für immer fest in unseren Herzen verankert. Diese Erlebnisse und Bilder kann uns keiner mehr nehmen. Sie werden uns in Momenten der Schwäche eine starke Stütze sein.

Vertrauen schenken
Ich kenne kein anderes Land in der Welt, in dem das Vertrauen in andere Menschen so groß bzw. das Misstrauen so gering ist. Hier ein paar Beispiele dafür: Haustüren werden entweder gar nicht abgeschlossen oder haben ein einfaches Zimmertürschloß. Wir waren in unserer zweiten Unterkunft in der Nähe von Nelson nur durch eine Schiebetür von unseren Vermietern getrennt. Jederzeit - auch wenn sie nicht zuhause waren - durften wir ihren sehr offenen Wohnungsteil betreten. Viele Touristen erzählten uns, dass ihnen von Kiwis angeboten wurde ihr Haus zu nutzen, wenn sie im Urlaub seien. Der Schlüssel läge unter der Hausmatte und wenn sie Fragen hätten, sollten sie sich an die Nachbarn wenden. Es gibt unzählige kleine Stände am Straßenrand an denen frisches Gemüse, Obst und Eingemachtes verkauft wird. Das Geld dafür wirft man in eine kleine Kasse. Auch wir versuchen uns im Vertrauen schenken in Menschen, nur die Haustür verschließen wir weiterhin;-)

Gebräunte Haut, gestärktes Immunsystem und frischer Geist
Die meist grauen Winter in Deutschland haben wir gegen einen sonnigen Sommer eingetauscht. Und dank der außergewöhnlich guten Sommertage in Neuseeland bringen wir eine schön gebräunte Haut und ein rundum fittes Immunsystem mit. Zunächst dachte ich, dass mir das Arbeiten und Sitzen am Computer nach so langer Auszeit schwerfallen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Mit erholtem Geist bringe ich frische Ideen ein und kann mich besser auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Dabei bewahre ich mir, mich jeden Tag an der frischen Luft zu bewegen. Mal schauen, wie lange das anhält;-)

Den Wert von Lebensmitteln schätzen
Wisst Ihr eigentlich wie günstig Lebensmittel in Deutschland sind? Bei unserem ersten Einkauf um den Kühlschrank zu füllen, fiel uns das erste Mal auf, dass die Lebensmittel in deutschen Supermärkten nicht ihrem Wert entsprechend verkauft werden. Wie kann es beispielsweise sein, dass ein Kilo Garnelen aus dem weit entfernten Atlantik hier günstiger ist, als in Neuseeland, wo sie direkt aus dem Meer gefischt werden? Milch, Butter, Lamm und Rind gibt es am anderen Ende der Welt im Überfluss und dennoch werden sie nicht zu Schleuderpreisen auf dem heimischen Markt verkauft. Allerdings ist dort die Qualität der Waren auch weitaus besser. Das höhere Lebensmittelpreise Arbeitsplätze vernichten - so wie es hier häufig propagiert wird - hat sich in Neuseeland nicht bewahrheitet. Seit 2002 haben sich die Preise fast verdoppelt, ohne Auswirkung auf die Beschäftigtenzahlen. 


Autoverkehr und öffentliche Toiletten
Das entspannte Autofahren bei einer Maximalgeschwindigkeit von 100 km/h ohne Drängler und Staus sowie die schön gestalteten öffentlichen Toiletten, dort wo man sie auf jeden Fall benötigt, vermissen wir jetzt schon. Schade, dass die meisten Deutschen so ein beschissenes Verhältnis zu Toiletten haben, die sie nicht selber saubermachen müssen.



Keine Verbote, sondern in die Verantwortung nehmen
"Betreten des Rasens verboten", "keinen Müll hinterlassen", "Hunde nur an der Leine führen", Verbotsschilder gibt es in unserem Land genug. Nicht so in Neuseeland. Dort setzt man auf Verantwortung, wie z.B. die Aufschrift auf öffentlichen Mülleimern "We love our nature" oder "100 km/h is not the aim" (100 km/h sind nicht das Ziel). In allen Kirchen gibt es eine Kinderspielecke und jeder Hundebesitzer hat völlig selbstverständlich Tüten in der Tasche mit denen er den Kot seiner Hunde überall - auch im Wald - entfernt. Solch ein Umdenken würde ich mir für Deutsche wünschen. Zumindest werde ich für mich darüber nachdenken, wo ich dieses Prinzip anwenden kann.

Wie kann ich anderen einen Dienst erbringen und damit eine Freude machen?
Unzählige Male haben wir diese Einstellung in Neuseeland erlebt. Sei es bei einem Touranbieter, der mich abends um 19 Uhr noch anrief um mir zu sagen, dass ich meine Jacke im Bus vergessen habe. Sei es der freundliche Kommunalmitarbeiter, der statt eines Geldbetrags für einen Fahrrad-Guide sagte: "It's a beautiful day". Seien es unsere Vermieter, die alles dafür getan haben, dass wir uns bei ihnen wohlfühlen. Sei es eine Gebühr für eine Bootstour, die uns ohne Aufforderung zurückgezahlt wurde, da mein Vater kurz vorher aus gesundheitlichen Gründen absagen musste. Häufig verzichteten die Kiwis dabei auf den eigenen Profit, nur damit wir uns wirklich wohlfühlten. Das werden wir hier vermissen. Und sollte uns hier diese Einstellung begegnen, werden wir sie lobend erwähnen und weiterempfehlen.

Was wir zurückgelassen haben?
Unseren geliebten Toyota Estima, zwei paar Schuhe, einen Bademantel, eine Steckdosenleiste, die Idee "was andere wohl dazu sagen", Vorurteile über schräge Vögel, neue Freunde und den Winter, der nun ins Land zieht und Kälte und Regen mit sich bringt.

Und was jetzt?
Acht Jahre Planungszeit und das halbe Jahr sind vorüber. Worauf können wir nun hinarbeiten? Das ist die Frage, mit der wir uns im Moment beschäftigen.Welches unserer "Big Five for Live" will noch erfüllt werden? Eine Antwort können wir noch nicht liefern, doch der Weg dorthin ist auch schon zielfüllend.

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